Kaffee ohne Milch, Brot ohne Butter und Lasagne ohne Hackfleisch: Veganer sind es gewohnt, zu verzichten. Anstelle von tierischer Kost stehen bei ihnen hauptsächlich Gemüse, Früchte und Körner auf dem Speiseplan. Ethische Argumente mögen sie dabei auf ihrer Seite haben. Dennoch werden sie nicht selten als kränkliche Körnerfresser verspottet, die keine Freude am Leben haben und ihrem Körper schaden. Was ist dran an den Vorurteilen? Wir beantworten die wichtigsten Fragen rund um den Veganismus.
Ist Veganismus wider die Natur?
"Der Mensch ist von Natur aus Allesfresser" – diesen Satz bekommen Veganer wohl häufiger zu hören, besonders von Gegnern der fleischlosen Kost. Und tatsächlich deutet die Anatomie des Menschen daraufhin, dass er kein reiner Pflanzenfresser ist. Die haben normalerweise mehrere Mägen und einen längeren Darm, um mehr Energie aus Grünzeug gewinnen zu können.
Auch die beachtliche Größe seines Gehirns spricht dafür, dass der Mensch irgendwann im Laufe der Evolution begonnen hat, Fleisch zu essen. Samen, Früchte und Gemüse hätten unseren Vorfahren wohl nicht genügend Kalorien und Eiweiß geliefert, um ein so großes und vor allem energiebedürftiges Gehirn zu entwickeln. Evolutionsbiologen gehen davon aus, dass Fleisch schon auf dem Speiseplan der Australopithecinen stand, die vor 2,5 Millionen Jahren in Afrika lebten.
Mangelt es Veganern an bestimmten Nährstoffen?
Wer auf tierische Produkte verzichtet, nimmt unter Umständen nicht genügend Eiweiß, Eisen, Kalzium, Jod und Vitamin B12 zu sich, warnt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Daher rät sie dazu, ein- bis zweimal in der Woche Fleisch, Fisch, Eier und Milchprodukte zu essen. Tatsächlich haben medizinische Studien gezeigt, dass viele Veganer zu einer geringeren Knochendichte und somit zu einem höheren Osteoporoserisiko neigen – vermutlich, weil ihnen Milch als Kalziumquelle fehlt. Salat, Gemüse und Obst enthalten zwar auch Kalzium. Dieses kann der Körper aber schlechter verwerten als tierisches, weil bestimmte in Pflanzen enthaltene Stoffe wie Phytin- und Oxalsäure die Aufnahme ins Blut erschweren.
Zudem nehmen Veganer oft zu wenig Jod, Vitamin D, B2 und B12 zu sich. Jod ist ein elementarer Bestandteil von Schilddrüsenhormonen, die eine wichtige Rolle im Stoffwechsel von Kohlenhydraten, Fett und Eiweiß spielen. Vitamin D hilft dem Körper, Kalzium aufzunehmen. Vitamin B2 braucht der Körper, um Zucker und Fett in Energie umzuwandeln. Und Vitamin B12 wird zum Beispiel für die Zellteilung und die Bildung roter Blutkörperchen benötigt.
Veganer und Vegetarier haben häufig einen niedrigeren Eisengehalt im Blut als Fleischesser. Das zeigte zum Beispiel die Deutsche Vegan-Studie von Annika Waldmann vom Institut für Lebensmittelwissenschaft der Universität Hannover. Sie konsumieren zwar ungefähr die gleiche Menge an Eisen – etwa über Salat, Spinat, Getreide oder Trockenobst – doch das pflanzliche Eisen ist für den Körper nicht so gut verfügbar wie tierisches. Das Mineral liegt in Pflanzen in einer anderen chemischen Gestalt vor als in Tieren und muss erst umgewandelt werden, bevor der Körper es aufnehmen und speichern kann.
Kann man Nährstoffe, Mineralien und Vitamine über andere Lebensmittel zu sich nehmen?
Laut Claus Leitzmann, emeritierter Ernährungswissenschaftler von der Universität Gießen, müssen Veganer ihre Ernährung sorgfältiger planen, um alle essenziellen Stoffe in den nötigen Mengen aufzunehmen. Mischkost sei zwar die einfachste Möglichkeit, seinen Körper mit allen wichtigen Mineralstoffen, Vitaminen und Energie zu versorgen, aber keineswegs die einzige.
Jod nimmt der Körper zum Beispiel auch über jodiertes Speisesalz auf, Vitamin B2 ist in Spinat, Spargel und Brokkoli enthalten und Kalzium steckt etwa in Nüssen und Hülsenfrüchten. Zudem lässt sich mit Tofu und Hülsenfrüchten wie Erbsen oder Bohnen der Eiweißbedarf decken. Weiße Bohnen haben sogar einen höheren Eiweißgehalt als Fleisch.
Nicht so einfach zu ersetzen ist Vitamin B12, da es beinahe ausschließlich in tierischen Produkten vorkommt. Bestimmte Algenarten wie Chlorella und Nori enthalten relativ hohe Mengen an Vitamin B12. Ob der Körper es tatsächlich aufnehmen kann, ist allerdings noch nicht erwiesen. Veganer sind also vor allem auf mit Vitamin B12 angereicherte Nahrungsergänzungsmittel angewiesen, um ihren Bedarf zu decken. Studien haben gezeigt, dass künstliches Vitamin B12 – wie Cyanocobalamin und Adenosylcobalamin – vom Körper gut verwertet werden kann. Vitamin D kann der Körper meist ausreichend selbst produzieren. Im Winter sollten Veganer es aber in Form von angereicherter Margarine oder als Tabletten aufnehmen. Eisen können Veganer über Getreideprodukte, Nüsse und Samen, Trockenobst, Spinat sowie bestimmte Salatsorten wie Rucola oder Feldsalat zu sich nehmen. Pflanzliches Eisen ist für den Körper zwar schlechter verwertbar als tierisches. Bestimmte pflanzliche Säuren, wie zum Beispiel Vitamin C und die in Sauerkraut enthaltene Milchsäure, helfen ihm aber dabei, das Mineral in eine besser verfügbare Form umzuwandeln.
Ist Veganismus wider die Natur?
Welche Menschen sollten sich nicht vegan ernähren?
Schwangeren und stillenden Frauen sowie Kindern rät die DGE von veganer Ernährung ab. "Die DGE hält eine rein pflanzliche Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit sowie im gesamten Kindesalter für nicht geeignet, um eine adäquate Nährstoffversorgung und die Gesundheit des Kindes sicherzustellen", heißt es auf den Internetseiten der DGE. In der Schwangerschaft steigt der Bedarf an Energie, Eiweiß und bestimmten Vitaminen wie B2 und B12. Ein Vitamin-B12-Mangel, wie er bei Veganern häufig vorkommt, kann demnach in der Schwangerschaft zu Fehlgeburten führen und das Nervensystem des Kindes schädigen.
Noch im Säuglings- und Kindesalter kann eine Unterversorgung mit dem Vitamin Blutarmut, Müdigkeit und Nervenschäden verursachen und die geistige Entwicklung des Kindes beeinträchtigen. Mathilde Kersting vom Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund warnt daher vor den Risiken einer veganen Ernährungsweise für Kinder. "Da Kinder im Wachstum sind, brauchen sie von allen Nährstoffen pro Kilogramm Körpergewicht deutlich mehr als Erwachsene", sagt sie. "Die Gefahr einer Mangelerscheinung ist also weitaus größer." Die optimale Ernährung für Kinder ist ihrer Ansicht nach die "optimierte Mischkost", die neben pflanzlichen Lebensmitteln auch Fleisch, Eier und Milch einschließt. Eltern, die ihr Kind dennoch vegan ernähren möchten, rät sie regelmäßige Besuche beim Kinderarzt. "Nur so kann eine mögliche Unterversorgung früh genug erkannt werden."
Nimmt die mentale oder körperliche Leistungsfähigkeit aufgrund veganer Ernährung ab?
Um körperliche Höchstleistungen zu erbringen, ist tierische Kost nicht zwingend notwendig. Das bewiesen zuletzt der Vegetarier Patrik Baboumian, der vor zwei Jahren die Strongman-Meisterschaften gewann und der vegan lebende Ausdauersportler Arnold Wiegand, der schon mehrfach den Ironman geschafft hat. Viele Veganer behaupten sogar, die Umstellung auf pflanzliche Kost habe ihre körperliche Leistungsfähigkeit erhöht.
Laut Christine Graf, Sportmedizinerin an der Kölner Sporthochschule, haben sie das nur indirekt dem Veganismus zu verdanken. "Eine vegane Ernährung setzt sich vor allem aus Pflanzen zusammen, ist also meist recht fettarm", sagt sie. "Die Verdauung von Fett macht müde, und wenn man weniger Fett isst, ist man insgesamt aktiver." Wer Sport treibt, verbraucht allerdings mehr Kalorien und Eisen. Vegane Sportler sollten also besonders darauf achten, dass sie genug Nährstoffe zu sich nehmen und keine Mangelerscheinungen haben. Vor allem Leistungssportler sollten ihren Eisengehalt regelmäßig vom Arzt überprüfen lassen, rät die Sportmedizinerin.
Ob und wie sich eine rein vegane Kost auf die geistige Leistungsfähigkeit auswirkt, ist noch nicht gut erforscht. Einige Studien deuten daraufhin, dass der Konsum von Fleisch, fettreichen Milchprodukten und Eiern das Risiko, an Demenz und Alzheimer zu erkranken, erhöhen kann. Andererseits gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Vitamin-B12-Mangel und Alzheimer. So haben Veganer beispielsweise laut einer Studie im Magazin Neurology ein geringeres Risiko an Alzheimer zu erkranken – sofern sie ausreichend Vitamin B12 zu sich nehmen.
Kann man durch vegane Ernährung Krankheiten vorbeugen oder sie sogar heilen?
Mehrere Untersuchungen haben gezeigt, dass Veganer schlanker sind und einen niedrigeren Blutdruck haben als Vegetarier und Fleischesser. All das spricht dafür, dass eine vegane Ernährung westlichen Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes vorbeugen,oder ihnen sogar entgegenwirken kann. Der Grund ist wohl, dass Veganer häufig weniger Fett konsumieren als Mischköstler. Vor allem tierische Fette lassen die Konzentration des Lipids Cholesterin im Blut ansteigen, welches sich in den Arterien ablagern kann. Das kann auf Dauer zu verhärteten und verengten Blutbahnen führen.